Intervention # Social Landart

Das Eichelschwein /The Acorn Pig 2003 - 2012

Social Landart – Verbindungen zwischen (Land-)Wirtschaft und Kunst

Wie ein Eichelschweinprojekt zwischen künstlerischer Forschung und Nachhaltigkeitswissenschaft vermittelt

 

...aus dem Kapitel 4. - 4.3. Ergebnisse „Eichelschwein“-Projekt ab (S.208)

In Bezug auf eine künstlerische Auseinandersetzung mit Nutztieren scheinen Schweine ein mythologisches, visuell ansprechendes Thema zu sein. In der global entwickelten Agrarindustrie, innerhalb der die konventionelle Schweinehaltung angesiedelt ist, sind jedoch die mythologischen und optisch ansprechenden Aspekte völlig verschwunden. Die Schweine, die ich in einem sächsischen (Massentierhaltungs-) Mastbetrieb antraf, waren Tiere, die repräsentativ für den berühmten Südtiroler Schinken heranwuchsen, die aber im Gegensatz zu der idyllischen Tiroler Landschaft und deren berühmten Tiroler Speck auf engstem Raum und auf den herkömmlichen Spaltböden in einer unattraktiven Umgebung lebten. 

 

Die Schweine, die ich sah, litten offensichtlich als Einzellebewesen unter komplexen Symptomen, während sie als Ganzheit einer Fleischindustrie eine Reihe von negativen Umweltveränderungen (u.a. Überdüngung, Monokultur, Gentechnik) verursachten und dieses noch immer tun.

 

Die konventionelle Schweinehaltung führt zu einem riesigen Feld von Erkenntnissen von Syndromen, sowohl in lokaler als auch in globaler Perspektive. Und darunter auch die Dimensionen der Beziehung von Mensch und Natur und deren Rechte. Angesichts dieser Herausforderungen fragte ich: Wie kann man einen regionalen, nachhaltigen sächsischen Schinken mit einer vorbildlichen Schweinehaltung produzieren, die dadurch auch noch ein attraktives Umfeld mit sich bringt? Das Ergebnis meiner künstlerisch-forschenden Interventionsstrategie entwickelte sich hierbei zu einem unerwartet langwierigen Projekt, das erstaunlich viele Prozesse in Gang setzte. Als Protagonistin für eine exemplarische Transformation der Schweinewelt und um einen zunächst objektiven und neutralen Eindruck von Schweinehaltung und landwirtschaftlichen Methoden zu gewinnen, habe ich mich in die landwirtschaftliche Praxis mit lebenden Schweinen vertieft. Denn nur Praktizierende können verstehen, welche Vorbereitung und Praxis, Disziplin und Methode, Strategie und Phantasie für die perfekte Ausführung ihrer Tätigkeit notwendig sind (Toulmin, 1968). Ich organisierte mein eigenes landwirtschaftliches Experiment mit zehn Schweinen in einer von mir ausgerufenen Gemeinschaft von fördernden Pat*innen für diese zehn Schweine. Ich habe hierfür eine „kreative Zweckgemeinschaft“ an der Schnittstelle zwischen Mensch und Schwein entwickelt.

 

Ich gab diesen Schweinen zum Beispiel Namen, die mir die Pat*innen vorschlugen, und machte sie so zu Persönlichkeiten. Weil ich die Tiere täglich besuchte entwickelte sich besonders zwischen meinem persönlichen Schwein "Winkler" und mir selbst, auch "Winkler" eine einzigartige Beziehung. Eine solche außergewöhnliche Beziehung zu den Nutztieren hatte ich zuvor im Kaukasus beobachtet, wo die Schweine am Morgen allein zum Weiden hinausgehen, um zum Abendessen nach Hause zu kommen. Diese Beziehung wurde nachweislich auch auf Initiative des Tieres hergestellt, weshalb diese kreative Zweckgemeinschaft zwischen Schwein und Mensch sich noch vertieft.

 

Ein Höhepunkt des Eichelschwein-Projektes war das behutsam vorbereitete Eichelschwein- Rennen, bei dem die zehn Eichelschweine, ausgestattet mit Flügeln in Form von Eichenlaub, unter der Aufsicht ihrer Pat*innen, Zuschauer*innen und geladenen Gäste ein Rennen absolvierten.

 

Diese ethnografische und transdisziplinäre und künstlerische Intervention liefert permanente spannende,

lebendige, emotionale und zugleich aufschlussreiche Zwischenergebnisse als Brücke zu einem „Social Landart“-Modell. 

Chronologie des „Eichelschwein“-Projektes

 

2003

  • Internationales Künstlersymposium „Cultura 21“, Entwicklung des ländlichen Raumes in Sachsen und Strategie zum Eichelschwein Projekt

2004 

  • „ABC der Schweinehaltung – Idla oder Eichelschwein“, Videoportrait, mit dem Familienbetrieb Jans-Wenstrup, Agrarmesse LandTageNord in Wüsting, im Rahmen des Projektes „Künstler treffen Landwirte, „>slap e.V“, Hude.
  • - Machbarkeitsstudie Eichelschwein-Haltung in Sachsen, Seminar mit der Landwirtschaftsschule Großenhain.

2005 

  • Performance zum Eicheln Sammeln in Oldenburg, Floß Evening, VHDG, Leeuwarden, NL.

2006 

  • Manifest der Eichelschwein-Gesellschaft, Projektbüro für Kunst und Kultur, Heike Strelow Frankfurt/Main und  „Die Eichelschwein-Wiese in Ganderkesee v. Juli – November
  •  „Die Kunst das Morgen zu Denken",  Rat für Nachhaltige Entwicklung, Berlin
  • - Das Eichelschwein-Rennen, Ganderkesee /Schlutter, November

2007

  • Das Eichelschwein-Kino u. Film „Das Eichelschwein“, Museum für Umwelt u. Projekt Skulpturen Landschaft, Osnabrück, Top OS e.V. Künstlerische Positionen, Leitbild Nachhaltigkeit, Erhalt von Natur u.Kultur.
  • - Ausstellung „Segments“, Koreanische und europäische Künstler, Igong Gallery, Daejeon, S.KR.
  • - Cultura 21, Spazio Thetis, Difesa della Natura, 100 Days Joseph Beuys, Filmpräsentation und Diskussion, Biennale Venedig.
  • - Edith Russ Haus für Medienkunst, Ecomedia, „Ökologische Strategien in der Kunst heute“, Ausstellung des Eichelschwein-Kinos im Öffentlichen Raum.

2008

  • Sonoma County Museum, Santa Rosa, California, USA.
  • - Ecomedia im PLUG.IN Basel
  • - Subkullinaria, Cultura 21, Köln, Deutzer Brücke

2009 

  • Umweltfilmfestival Lüneburg
  • - Ecomedia, im Salla Parpalló, Valencia, ES (Publikation)

2012 -

  • Hungy City“, Landwirtschaft u. Essen in der zeitgenössischen Kunst, Kunstraum Kreuzberg.

Publikationen

  • - Ulbricht, B.: „Künstlerin möchte Eichelschwein-Park bei Großenhain“,
  • Sächsische Zeitung, 2004.
  • - Oberst, C.: Vegetation, künstlerische Fotographie, Edition Art Lexikon 3, IFUPA, 2005.
  • - Meißner, S.: „Im Ziel warteten leckere Eicheln“, Weserkurier, Lokales, November 2006
  • - Delmenhorster Kreisblatt, „Videobeweis bringt es an den Tag“, 27.11.2006
  • - Greulich, D.: Kunst, „Ein symbolträchtiges Rennen“, Nordwestzeitung, November, 2006.
  • - The Handbook of Art and Ecology“, British Council of Art, London, 2007
  • - Brinkmann, C.: in Niedersächsischer Heimatbund, NIEDERSACHSEN, Heft 1, Hannover, 2007.
  • - Brinkmann, C.: „Kunst mit glücklichen Schweinen“, o.T. - Magazin für Kunst, Architektur, Design, Heft Nr. 9/ Hamburg, 2007.
  • - Skulpturenlandschaft Osnabrück 2007: Katalog, TopOs Verein für Neue Kunst Osnabrück, 2007.
  • - Himmelsbach, S., Volkart, Y.: Ecological Strategies in Today´s Art, Berlin, 2008.
  • - artesostenible.org, 2008.
  • - Katzmaritz, A.: „Haben Schweine eine Seele“, Kölner Stadtanzeiger, Nr. 183, August, 2008.
  • - Britz, S.: The Acorn Pig Project, The Journal of Nature in Visual Culture, antennae.org.uk 2010.
  • - Cichocki, S., Mizielinska, A. u. D.: „Sommerschnee u. Wurstmaschine, Sehr Moderne Kunst aus Aller Welt, Frankfurt, 2013.